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Max Beckmann: Blickwechsel – Wortwechsel, Teil 1

Um der Verbreitung des Corona-Virus entgegenzuwirken, blieb die Hamburger Kunsthalle vom 2. bis zum 30. November 2020 geschlossen. In der Veranstaltungsreihe "Blickwechsel" hätten Experten aus verschiedenen Fachbereichen ihren Arbeitsplatz temporär in die Ausstellung „Max Beckmann. weiblich–männlich“ verlegen sollen. Aus diesem „Blickwechsel“ sind mit der Schließung der Hamburger Kunsthalle nun schriftlich geführte „Wortwechsel“ geworden. Im ersten Teil erleben Sie nun Dr. Jan Metzler, Literaturwissenschaftler und Leiter Kommunikation & Marketing an der Hamburger Kunsthalle, in einem sehr feinsinnigen Gespräch mit der Kuratorin und Leiterin der Sammlung Klassische Moderne, Dr. Karin Schick, über die Lithographie „Bildnis Peter Beckmann“ von Max Beckmann aus dem Jahr 1918:

KS: Lieber Jan, aus den vielen Werken der Ausstellung „Max Beckmann. weiblich-männlich“ hast Du ein Porträt des Sohnes Peter Beckmann im Alter von 10 Jahren ausgewählt. Was interessiert oder berührt Dich an dieser Darstellung besonders?

JM: In meinem Studium habe ich mich viel mit der Literatur des Expressionismus beschäftigt, der Zeit zwischen 1910 und 1920. Also genau der Zeit, in der auch Max Beckmanns Porträt seines Sohnes entstand. Der Expressionismus wird oft als Revolte der Söhne gegen die Väter gelesen, sozusagen die pubertäre Phase der Literatur der Moderne. Das Ganze gipfelt dann in Franz Kafkas berühmtem „Brief an den Vater“ aus dem Jahr 1919. Mütter kommen in dieser Literatur so gut wie gar nicht vor, auch expressionistische Schriftstellerinnen gibt es wenige. Da schreiben also Söhne mit viel Pathos und Idealismus gegen eine steife, einengende wilhelminische Vätergeneration an. Der Schrei in die Welt, als der der Expressionismus auch bezeichnet wird, ist vielleicht das markanteste Bild dafür. Die Epoche ist laut. Die Bevölkerungszahlen der Städte explodieren, die Technik macht riesige Fortschritte, die Geschwindigkeit nimmt zu. Die Gewalt des Ersten Weltkriegs ist überall präsent. Auch in den Werken Beckmanns aus dieser Zeit.

Und dann steht man in der Ausstellung plötzlich vor diesen zarten Porträts seines Sohnes. Keine vollendeten Bilder, eher Studien. Sie haben mich sofort berührt. Hier blickt ein Vater auf seinen Sohn. Und hier ist etwas anders. Du hast Beckmann ja als den zupackenden, männlichen Weltendeuter befragt, als den ihn die Forschung und auch er sich selbst gerne gesehen hat. In diesen wenigen Porträts von seinem Sohn steckt ganz viel Unsicherheit. Es ist ein unsicherer Blick, der uns da entgegen schaut, nein, eher durch uns hindurchschaut. Man spürt eine große Distanz, der Sohn scheint wie entrückt. Ausgearbeitet sind eigentlich nur Kopf und Hände, der Rest bleibt skizzenhaft. Spontan haben mich der Blick und die Kopfhaltung an Beckmanns Selbstbildnis aus dem Jahr 1905 erinnert, das ebenfalls in der Ausstellung hängt. Blickt Beckmann 13 Jahre später in seinem Sohn auch auf sich selbst? Nichts Ungewöhnliches für einen Vater.

Typisch für seine Epoche hat Beckmann sich viel mit Weltschöpfungsmythen beschäftigt, also der Frage, wie die Welt und vor allem die Menschen entstanden sind. Dabei geht es immer wieder um männliche und weibliche Kräfte, die ineinander wirken. Letztlich ist es die uralte Vorstellung einer männlichen Form und einer weiblichen Materie, aus der alles entsteht. Der geniale Künstler-Mann vereinigt gleich beides in sich und macht die Frau überflüssig. Da ist der Otto Weininger lesende Beckmann in meinen Augen ganz seiner Zeit verhaftet. Sein Sohn aber wirkt wie ein störendes Element. Ich möchte fast sagen: wie eine Kränkung dieses Künstlernarzissten, der sich selbst als eine Einheit aus Männlichem und Weiblichem phantasiert. Seinen Sohn aber bekommt er nicht recht zu fassen, ihn muss er sich auch künstlerisch auf Distanz halten. Wenn es um seinen Sohn geht, dann ist bei Max Beckmann, um es mit Sigmund Freud zu sagen, „das Ich nicht Herr im eigenen Haus“. Hier passiert etwas in seinem Werk, dass er nicht beherrschen kann. Vielleicht gibt es deswegen so wenige Bilder von seinem Sohn.

KS: Die Lithographie „Bildnis Peter Beckmann“ hängt in einem Saal der Ausstellung, der „Die Familie“ betitelt ist. War dieses Thema für dich als Literaturwissenschaftler, für deine eigene Arbeit wichtig?

JM: Das ist eine spannende Frage. Meine Doktormutter Martina Wagner-Egelhaaf meinte damals, dass die Themen, die man sich aussucht, immer auch etwas mit einem selbst zu tun hätten und nicht einfach nur beliebige Forschungsfelder seien. Wir haben das damals empört von uns gewiesen. Wir waren schließlich objektive angehende Wissenschaftler! Dachten wir. Ich habe damals über die Krise des männlichen Künstlersubjekts im Expressionismus gearbeitet. Da ging es viel um Ekel, verwesende Körper, generell um Materie, die sich dem souveränen Künstlermann entzieht und die er im künstlerischen Prozess immer wieder zu formen versucht. Da hört man so einen Hinweis wie den der Doktormutter vielleicht nicht gerne. Die Energie, die in den Sohn-Vater-Konflikten des Expressionismus liegt, habe ich damals immer nur aus der Perspektive des Sohnes betrachtet. Erst jetzt, da ich selbst Vater eines Sohnes bin, verschiebt sich diese Perspektive. Ich glaube, mit Mitte Zwanzig wären mir in der Ausstellung Beckmanns Porträts seines Sohnes nicht unbedingt aufgefallen.

KS: Welchen Eindruck hinterlässt die Ausstellung bei Dir, welchem Gedanken oder welcher Anregung möchtest Du vielleicht nachgehen?

JM: Ich habe mich am Anfang schon gefragt, warum wir eine Ausstellung über die Vorstellungen von „weiblich“ und „männlich“ bei einem so machohaften Künstler wie Beckmann machen. Auf den ersten Blick ist da so viel zeit- und epochentypisch bei ihm. Die Porträts seines Sohnes zeigen aber – und sie sind nur ein Beispiel –, wie spannend es ist, den Irritationen in seinen Werken nachzugehen. Den Stellen, wo in der Kunst etwas Widerständiges auftaucht. Dann sind die ganzen großen Modelle plötzlich gar nicht mehr so rund und vollkommen. Dann wird auch der große Max Beckmann plötzlich unsouverän und damit erst so richtig spannend.

Dr. Jan Metzler, Studium der Deutschen Philologie, Psychologie und Kommunikationswissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Seit 2003 an der Hamburger Kunsthalle, leitet die Abteilung Kommunikation & Marketing. Promotion über „De/Formation: Autorschaft, Körper und Materialität im expressionistischen Jahrzehnt“. Veröffentlichungen zu „Weiblichkeit und Tod in Heinrich Manns Frühwerk“ und zur transdisziplinären Materialitätsdebatte, Mitherausgeber von „Aus dem Verborgenen zur Avantgarde: Ausgewählte Beiträge zur feministischen Literaturwissenschaft der 80er Jahre“.

Hier geht es zum zweiten Teil der Reihe "Wortwechsel".

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Max Beckmann, „Bildnis Peter Beckmann“, 1918, Privatbesitz Deutschland, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020