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Ernst Wilhelm Nay – Gesprächsreihe: 2. Teil: Interview mit Nicoline Zornikau

Am 24. März 2022 eröffnet die Hamburger Kunsthalle ihre große Sommerausstellung »Ernst Wilhelm Nay. Retrospektive« mit über 100 Werken des Künstlers, Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen aus allen Schaffensphasen (25. März bis 7. August 2022). In zweiter und dritter Station wird sie im Museum Wiesbaden und dem MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Duisburg, zu sehen sein. Als kleinen Vorgeschmack auf die Schau führt Anna Ganzleben, die derzeit die Kuratorin Dr. Karin Schick und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Sophia Colditz unterstützt, in den kommenden Wochen drei Interviews mit Personen, die in unterschiedlicher Weise zum Gelingen der Ausstellung beitragen. Heute spricht sie mit der Restauratorin Nicoline Zornikau, einer Spezialistin für die Klassische Moderne, die alle in der Retrospektive gezeigten Gemälde Ernst Wilhelm Nays konservatorisch betreut.

AG: Liebe Nicoline, Du bist im Rahmen der Ausstellung zuständig für 66 Gemälde von Ernst Wilhelm Nay. Kannst Du einmal beschreiben, was Deine Tätigkeit alles umfasst?

NZ: Zunächst einmal bin ich natürlich zuständig für die konservatorische Vorbereitung der Gemälde der Hamburger Kunsthalle hier im Haus, das bedeutet, dass ich die Werke im Vorfeld der Ausstellung untersuche, die Ergebnisse dokumentiere und gegebenenfalls konservatorische Maßnahmen konzipiere und umsetze. Diese sind auch im Hinblick auf eine Ausleihe an die beiden weiteren Stationen von Bedeutung.

Zusätzlich kommuniziere ich mit den Leihgeberinnen und Leihgebern, deren Werke in der Ausstellung gezeigt werden; dabei handelt es sich sowohl um andere Museen als auch um Privatpersonen. Nays Gemälde sind aus maltechnischen Gründen häufig relativ fragil. Unter „normalen“ Umständen wäre es üblich, dass Leihgaben auf dem Weg zu uns von Kurierinnen oder Kurieren begleitet werden. Aufgrund der pandemischen Lage versucht man zurzeit allerdings, von solchen Reisen abzusehen. Deshalb sind gute Kommunikation und ein vertrauensvolles Verhältnis gerade besonders wichtig.

Schließlich kümmere ich mich, gemeinsam mit meiner Kollegin Sabine Zorn, die für die Arbeiten auf Papier zuständig ist, darum, dass in den Ausstellungssälen entsprechende konservatorische Bedingungen in Bezug auf Klima, relative Feuchtigkeit und Licht herrschen.

AG: Du hast schon im Zuge von Restaurierungen viel über Nays Malweisen recherchiert und gelernt. Wie bist Du da als Restauratorin vorgegangen, und zu welchen Ergebnissen und Erkenntnissen bist Du gekommen?

NZ: In Nays Fall gibt es einige theoretische Schriften, in denen er sich zu seiner Technik und Malweise äußert. Diese sind ein Grundbaustein, mit dem man sich zunächst einmal befasst. Parallel habe ich das dann immer mit den Werken abgeglichen, diese mit Beleuchtungs- und Strahlentechnik sowie unter dem Mikroskop untersucht und dabei festgestellt, dass er von manchen Plänen natürlich auch abgewichen ist, sie überworfen hat. In anderen Fällen hat er das Konzept, das er von Beginn an umsetzen wollte, stringent bis zum Ende durchgeführt.

Konkret habe ich mich in Hinblick auf unsere eigenen Werke, also die der Kunsthalle, mit den Zuständen beschäftigt. Ich habe dabei festgestellt, dass Nay maltechnisch viel experimentiert hat: Er arbeitete an den Gemälden mit Ölfarbe, die er teils sehr stark verdünnte oder der er Bindemittel entzog, damit sie matter wurde. Das führte dazu, dass an vielen Gemälde sogenannte Schichtentrennungen vorliegen – sowohl zwischen verschiedenen Farbschichten als auch innerhalb einer einzelnen Schicht; das heißt, dass Farbschichten abpudern. Ebenfalls auffällig ist, dass einzelne Farbaufträge bis heute noch nicht vollständig trocken sind.

AG: Haben Dich die Charakteristika von Nays Malweise also bei Deiner Arbeit auch vor Herausforderungen gestellt?

NZ: Die genannten Schichtentrennungen sind eine solche Herausforderung. Außerdem war Nay vor allem in frühen Jahren auf improvisierte Bildträger angewiesen, spannte alte vorgefundene Stoffe selber auf Spannrahmen auf. Diese Aufspannungen sind nicht immer solide, was in Kombination mit einem teilweise sehr, sehr dicken Farbauftrag in manchen Fällen zu Verwellungen der Leinwand geführt hat. Hier gilt es, die Gemälde mit besonderer Sorgfalt so vorzubereiten, dass sie präsentabel und leihfähig sind.

AG: Im Laufe von rund 50 Jahren Arbeit hat Nay seine Formensprache immer weiter geklärt, verdichtet und auf wiederkehrende Motive reduziert. Hat er diese Elemente dann eher spontan auf der Leinwand kombiniert, oder ging dem Malen ein Prozess der Planung, ein bewusstes Komponieren voraus?

NZ: Nays Schaffen wird ja in verschiedene, umfangreiche Werkphasen eingeteilt, die natürlich miteinander verknüpft, aber dennoch klar voneinander abgesetzt sind. In unterschiedlichen Phasen lässt sich immer wieder feststellen, wie er Ideen verworfen hat. Wir finden bei ihm auch übermalte Rückseiten: Nay hat dann die Leinwand umgespannt, die Rückseite verwendet und das Verworfene so dicht übermalt, dass es nicht mehr zu erkennen ist. Innerhalb der Werkgruppen sieht man klar, dass die ersten Bilder oft Versuchsbilder waren, in denen er sich mit einem neuen Konzept auseinandersetzte. Über einen Zyklus hinweg entwickelte sich das immer selbstverständlicher, und er fand zu Stabilität. Es macht großen Spaß, das nachzuvollziehen!

Diese formale Sicherheit ermöglicht solche Gemälde, wie Nay sie zum Ende seines Lebens hin geschaffen hat. Man würde meinen, dass die Leichtigkeit von Anfang an da ist, aber nein: Das erarbeitet ein Künstler sich über ein ganzes Leben hinweg. In Bezug auf den Begriff der Spontaneität bin ich hin- und hergerissen: Sein Malen ist nicht spontan im Sinne von zufällig oder nicht durchdacht. Es ist erarbeitet und dadurch kalkuliert. Es gibt Vorbereitungen, Studien und Vorzeichnungen. Vielleicht ist es also eine Kombination: Im Wechsel zwischen intellektueller Auseinandersetzung, klugem Durchdringen und dann der freien Ausführung im Bild, entsteht im Machen wieder etwas Prozesshaftes, das sich weiterentwickelt.

AG: Ziel der Retrospektive in Hamburg, Wiesbaden und Duisburg ist es unter anderem, Ernst Wilhelm Nay und sein umfassendes Werk wieder stärker in die öffentliche Wahrnehmung zu bringen. Warum erscheint Dir, aus Sicht der Gemälderestauratorin, die Auseinandersetzung mit Nay für heute relevant?

NZ: Es wäre schön, wenn unsere Besucherinnen und Besucher Nay ganz intuitiv und sinnlich für sich entdecken. Ich hoffe aber auch auf andere, die Lust haben, sich intensiv mit Malereiprozessen auseinanderzusetzen, sich mit seinen Konzepten und deren Umsetzung zu beschäftigen. Diese beiden Pole sind sehr besonders: dass seine Bilder auch intuitiv ganz stark wirken, man sich gleichzeitig aber auch tiefer, theoretisch in seine Malerei hineindenken kann.

Ich würde mich besonders freuen, wenn junge bildende Künstlerinnen und Künstler die Möglichkeit nutzen würden, aus seinen Werken zu lernen, das Wissen und Können eines so großartigen Malers auch in der heutigen Zeit auf sich wirken zu lassen. Nay könnte fast eine Art Mittler sein, da er mit seinem Werk eine Tradition verkörpert, aber auch bis in die Moderne hineingereicht hat: von der gegenständlich-beschreibenden Malerei bis in die abstrakte – das alles hat er sich erarbeitet und intensiv durchdrungen. Darin sehe ich ein besonderes Potential: dass Nay eine (Wieder)Entdeckung sein könnte, sowohl für Laien als auch für junge Malerinnen und Maler.

Nicoline Zornikau arbeitet seit September 2018 in Projektanstellung als Restauratorin für Klassische Moderne an der Hamburger Kunsthalle. Sie studierte Konservierung, Kunsttechnologie und Restaurierung in Hildesheim und Dresden und war seit 2011 für namhafte Institutionen tätig, darunter die Klassik Stiftung Weimar, das Museum der bildenden Künste Leipzig und das Ernst Barlach Haus, Hamburg. Geforscht und publiziert hat sie unter anderem zu Anita Rée und Ernst Barlach; ein von ihr verfasster Aufsatz zur Malweise Ernst Wilhelm Nays erscheint im Katalog zur Retrospektive.


Nicoline Zornikau untersucht im Restaurierungsatelier der Hamburger Kunsthalle Ernst Wilhelm Nays Gemälde Mit roten und schwarzen Punkten aus dem Jahr 1954.