Oscar Muñoz, Aliento, 1995–2002, © Thierry Bal, 2008  Courtesy: INIVA
Godfried Schalcken, Junger Mann auf eine Fackel pustend, um eine Kerze anzuzünden, um 1692–1696, courtesy of The Leiden Collection, New York.
David Zink Yi Pneuma, 2010, 16-mm-Film mit Ton, 1:23 min gelooped © David Zink Yi, Courtesy Hauser & Wirth und David Zink Yi
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Außer Atem

Atem ist allgegenwärtig und doch selten sichtbar. Künstler*innen suchen seit Jahrhunderten immer neue Möglichkeiten, Bilder dafür zu finden. Dabei ist der Atem nicht nur Gegenstand der Darstellung, sondern immer wieder auch elementarer Bestandteil der künstlerischen Formfindung. Oscar Muñoz zum Beispiel widmet sich in seiner kleinformatigen Serie aus statischen, blanken Metallspiegeln dem Atem als formgebendem Element. Dafür nimmt der Künstler den individuellen Atem der jeweiligen Betrachtenden zum Ausgangspunkt. Die verspiegelten Scheiben hängen in Augenhöhe und zeigen das Spiegelbild der Besucher*innen. Bis diese die Scheibe anhauchen: Durch die Kondensation der Atemluft auf der bearbeiteten Oberfläche des Spiegels taucht nun ein weiteres Gesicht auf. In diesem flüchtigen Moment wird das gespiegelte Besucher*innen-Bild
durch das Porträt einer verstorbenen Person ersetzt – das jedoch ebenso schnell wieder verblasst, wie es erschienen ist. Die Porträts der Toten – auf Fotos basierende Drucke – sind Nachrufen kolumbianischer Tageszeitungen entnommen. Sie erinnern an Menschen, die aufgrund von politischer Gewalt ermordet wurden. Aliento (»Atem«) ist ein perfektes Beispiel für den Atem als Funken des Lebens und der Schöpfung, thematisiert aber auch den ihm innewohnenden Aspekt des Erlöschens.

Dieser Gedanke bestimmt ebenfalls das Gemälde von Godfried Schalcken, dessen nächtliche Szene einen jungen Mann zeigt, der auf ein brennendes Holzscheit bläst. Mit gespitzten Lippen pustet er Luft in die Glut und versorgt die nach links weichende flackernde Flamme mit Sauerstoff. Schalckens voller Konzentration ausatmende Figur zeigt den Atem als treibende Kraft. Die Lebendigkeit der Flamme kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine sehr reale Möglichkeit existiert, dass sie erlischt, sobald dem Jungen die Luft ausgeht – und die gesamte Szene in Dunkelheit taucht. Die Atmung setzt mit der Geburt ein und begleitet uns bis ans Lebensende. Sie ist im Alltag eine Selbstverständlichkeit – es sei denn, etwas läuft schief. Wird sie behindert oder gar unterbunden, drohen Bewusstlosigkeit und Tod. In zahlreichen Bildfindungen rund um die menschliche Atmung betonen Darstellungen des Memento mori und Vanitas-Motive wie Kerzen, Glaskugeln und Seifenblasen den Atem als Ursprung des Lebens und Mahnung an die Sterblichkeit zugleich.

Die Gegenwartskünstlerin Teresa Margolles greift auf diese Ikonographie zurück und erweitert sie um ein performatives Element – und das Erleben am eigenen Leib. Wer zurzeit den zentralen Lichthof der Galerie der Gegenwart betritt, wird von herabschwebenden Seifenblasen empfangen, die von zwei Maschinen ausgehaucht und fallen gelassen werden. Dass das Wasser dieser Seifenblasen mit durchnässten Stoffen in Kontakt war, die mit Orten von Gewalttaten in Berührung gebracht wurden, gibt den schillernden Gebilden eine unerwartete und schockhafte Wendung. Und führt den Betrachtenden sowohl die Verletzlichkeit des Menschen als auch die Gewissheit der eigenen Lebendigkeit vor Augen.
Durch Atmung kommt ein direkter unmittelbarer Austausch mit der Welt zustande. Doch was passiert, wenn dieser Austausch erschwert ist? Die Frage spielt eine wichtige Rolle in den Gemälden von Markus Schinwald. Einige Jahre vor der Corona-Pandemie entstanden, vermitteln sie einen Eindruck von einem Zustand, in dem die Luft zum Atmen behindert oder genommen wird – durch Stoffe, Prothesen oder Luftblasen, die der Künstler in die Porträts anderer Künstler einfügt.

Der niederländische Maler Hendrick ter Brugghen setzt den Lebenshauch in Gestalt eines Flötenspielers in Szene. Denn Atemluft erhält nicht nur das Leben, sie befördert auch die Kreativität. Der Atem bewirkt, dass Laute und Töne gebildet werden und wir miteinander kommunizieren und musizieren können. Mit dem Einatmen werden Gehirn und Muskeln mit Sauerstoff versorgt, mit dem Ausatmen wird das Instrument und damit im übergeordneten Sinn die ganze Welt zum Klingen gebracht.

Auch in den Arbeiten von David Zink Yi spielen Musik und Klang eine wichtige Rolle. In seinem Film Pneuma atmet der Trompeter Yuliesky González Guerra ein und aus – und erzeugt schließlich ein hohes C. Der 16mm-Film dauert so lange, wie Guerra den Ton halten kann, und endet abrupt in dem Moment, in dem er entkräftet innehält, die Trompete sinken lässt und nach Luft ringt. Dann beginnt der Film von neuem. Der Ton existiert nur für die Dauer eines Atemzuges – und stirbt mit diesem, sobald dem Musiker die Luft ausgeht. Die Endlosschleife einer Note greift hier eines der traditionsreichsten künstlerischen Motive überhaupt auf: den Kreislauf von Leben und Tod.

JAN STEINKE, wissenschaftlicher Assistent der Ausstellung ATMEN