Aufbruchstimmung
Bislang unbekannte Bilddokumente werfen ein neues Licht auf die Geschichte der Hamburger Kunsthalle nach dem Ersten Weltkrieg: Sie dokumentieren die Ausstellung des Deutschen Künstlerbunds 1921 in Hamburg und die Zusammenarbeit von Dorothea Maetzel-Johannsen und Friedrich Wield bei der Gestaltung des Vorraums des ehemaligen Vortragssaals.
Ekkehard Nümann zum 80. Geburtstag*
TEXT: RÜDIGER JOPPIEN
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs waren Hamburgs Künstlerinnen und Künstler bestrebt, ihre Stadt, die in der gesamtdeutschen Kunstszene bis dahin keine herausragende Rolle gespielt hatte, publizistisch nach vorne zu bringen und überregional bekannt zu machen.[1] Im Sommer 1919 schlossen sie sich zur Hamburgischen Sezession zusammen, um der modernen Kunst in der Kaufmannsstadt ohne eigene Akademie Ansehen und Gehör zu verschaffen. Bereits am 14. Dezember 1919 konnte die erste Ausstellung der neuen Künstlergruppe eröffnet werden, die zweite fand Anfang 1921 statt – beide in den Räumen der Hamburger Kunsthalle. Damit war ein selbstbewusster Aufbruch der Hamburger Künstlerschaft eingeläutet.
Vom 14. August bis zum 31. Oktober 1921 veranstaltete dann der Hamburger Kunstverein im Obergeschoss des Altbaus der Kunsthalle die 16. Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes. Zum ersten Mal präsentierte sich der 1903 gegründete überregionale Verband in Hamburg mit einer so umfassenden Ausstellung, in der neben Malerei auch Plastik einbeschlossen war.[2] An ihr beteiligten sich nahezu alle fortschrittlichen Künstler und Künstlerinnen Deutschlands. Dass diese Schau überhaupt so schnell nach Kriegsende in Hamburg stattfinden konnte, war dem Hamburger Kunstverein und seinem rührigen Geschäftsführer Hofrat Theodor Brodersen zu verdanken, der in Personalunion auch Sekretär des Künstlerbundes war.
Gezeigt wurden in der Ausstellung fast 400 Bildwerke – darunter 40 Plastiken – von 225 Künstlerinnen und Künstlern, von denen allein rund 50 aus Hamburg stammten. Damit konnte der Hamburger Bevölkerung eine Vorstellung vom inzwischen erreichten Niveau der deutschen Kunst, auch im Vergleich mit den Hamburger Künstlern, vermittelt werden. Ähnliche Überblicksausstellungen fanden in den 1920er-Jahren noch einige Male statt: 1927 und 1929 in Verbindung mit der Sezession in der Hamburger Kunsthalle sowie 1929 in der großen Ausstellungshalle der Stadt Altona,[3] als Beweis für ein kraftvoll entschlossenes Engagement der Hamburger Künstlerschaft für die bildende Kunst.
Zur 16. Ausstellung des Künstlerbundes erschien ein Katalog der beteiligten Künstler und ihrer Exponate.[4] Rezensionen in der Tagespresse boten zusätzliche Einblicke in die Zusammensetzung der Schau. So berichtete etwa Carl Müller-Rastatt am 30. und 31. August 1921 in der Zeitung für Literatur, Kunst und Wissenschaft, einer Beilage des Hamburgischen Correspondenten, über die Ausstellung, und Theodor Paul Et*bauer behandelte anhand der darin vertretenen bildhauerischen Arbeiten die Probleme der Plastik.[5] Die Kunsthistorikerin und -kritikerin Rosa Schapire verfasste eine Rezension im Cicerone, in der sie einige sie besonders ansprechende Objekte hervorhob: von Karl Hofer beispielsweise die Gemälde Ringerinnen, Masken und Abschied, von Paul Klee eine Landschaft mit gelbem Kirchturm, Schulhaus und Fensterausblick; vom Bildhauer Ernesto De Fiori einen schlanken und schönen Stehenden Jüngling.[6]
Zwischen Hamburg und Winterthur
Die Ausstellung wurde von offizieller Seite anscheinend nicht bildlich festgehalten. Umso erfreulicher ist der Umstand, dass sich im Archiv der Hahnloser/Jaeggli Stiftung in Winterthur zwei Fotos erhalten haben, die mit großer Wahrscheinlichkeit von dem Hamburger Bildhauer Friedrich Wield (1880–1940) aufgenommen und auf dem Postweg versandt wurden (Abb. 1/2).[7] Sie gewähren Einblick in einen der Ausstellungsräume und dokumentieren nicht nur etliche an der Ausstellung beteiligte Kunstwerke, sondern geben auch eine Vorstellung von der dichten Inszenierung und den räumlichen Gegebenheiten. Die Ausstellung fand in einem Raum mit grün gestreifter Tapete statt, die der Kunsthallendirektor Gustav Pauli wenige Jahre zuvor hatte anbringen lassen,[8] was nahelegt, dass man dem Künstlerbund vorübergehend einen der Schauräume des Museums zur Verfügung gestellt hatte. Eines der Fotos lässt die historisierende Hohlkehle im Übergang von der Wand zur Decke erkennen, die auf Fotografien, die lediglich die Wandzone erfassen, normalerweise nicht zu sehen ist.
Beide Fotos geben denselben Raum aus unterschiedlichen Blickwinkeln wieder. mit schwarzer Tinte sind auf ihnen jeweils verschiedene Künstlernamen wie die von Ernesto De Fiori, Karl Hofer, Paul Klee und Edwin Scharff notiert. Der Grund dafür erklärt sich vermutlich aus der Person des Briefempfängers, dem Winterthurer Textilfabrikanten und Kunstsammler Richard Bühler, der an den abgebildeten Kunstwerken bzw. Künstlern interessiert gewesen sein könnte (Abb. 3).[9] Insofern ist anzunehmen, dass Wield Bühler auf bemerkenswerte Objekte in der Ausstellung aufmerksam machen wollte.
Friedrich Wield war in der Künstlerbund-Ausstellung selbst mit zwei Plastiken, der Figur Spannen und einem Porträt seiner Mutter, beide von 1919, beteiligt.[10] Die für Bühler bestimmten Fotos sind so aufgenommen, dass seine Figur Spannen im Vordergrund zu sehen ist. Die Plastik zeigt den stilisierten, keineswegs naturalistisch ausgeformten Körper eines Sportlers, der, halb kniend, mit seinem Körper eine diagonale Bewegung von unten nach rechts vollführt und in der rechten Hand eine Kugel hält, die er im nächsten Augenblick loswerfen wird (Abb. 4). Der unter hoher Anspannung stehende Körper entspricht dem Titel der Plastik. Das Werk ist nach Wields Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg in Hamburg entstanden und veranschaulicht einen stilistischen Neuanfang im bildhauerischen Schaffen des Künstlers.[11] Dieser verzichtete auf eine Individualisierung der Figur und die Darstellung anatomischer Korrektheit zugunsten der Wiedergabe einer konzentriert körperlichen Kraftanstrengung.
Wield hatte Bühler wohl um 1910 kennengelernt, als er – von 1905 bis 1914 – als freier Bildhauer in Paris lebte. Zu diesem Zeitpunkt war Bühler schon als Sammler moderner Kunst aktiv und Vorstandsmitglied des Winterthurer Kunstvereins. Das Engagement für die bildende Kunst teilte er mit seiner Cousine Hedy Hahnloser und ihrem Ehemann, dem Winterthurer Augenarzt Dr. Arthur Hahnloser. Beide Familien zählten zum wohlhabenden Bürgertum; zusammen mit der Familie Reinhart sollten sie innerhalb von wenigen Jahren die ehemalige Industrie- und Handelsstadt Winterthur in eine blühende Kultur- und Museumsmetropole verwandeln.[12] Bühler begleitete das Werk Wields viele Jahre mit Sympathie und förderte es mit Einzelaufträgen. So sorgte er zusammen mit Arthur Hahnloser dafür, dass Wield 1913 für das im Bau befindliche Winterthurer Kunst Museum mit einem Fassadenrelief Phantasie und Logik beauftragt wurde.[13] Nachdem Wield unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs Paris verlassen hatte, hielt er sich von September 1914 bis zum Frühsommer 1915 in Winterthur auf und schuf in dieser Zeit das zuvor in Ton konzipierte Relief sowie weitere freie Arbeiten und Büsten für seine Winterthurer Förderer.
Nach Ende des Krieges kehrte Wield nicht mehr nach Paris zurück, sondern blieb mit Rücksicht auf seine betagte Mutter in Hamburg, um von hier aus seine Karriere als Bildhauer fortzusetzen. Obwohl Ehrenämter seinem zurückhaltenden Naturell nicht entsprachen, wurde er 1919 zum Ersten Vorsitzenden der neu gegründeten Hamburgischen Sezession gewählt, was einen beständigen Austausch mit seinen Hamburger Kollegen erforderte. Vermutlich führte diese Konstellation dazu, dass er noch im gleichen Jahr die Möglichkeit bekam, ein eigenes Atelier in der Kunsthalle zu beziehen, das er bis Ostern 1936 innehatte.[14] Wields Präsidentschaft dauerte allerdings nur bis 1922, als er auf eigenen Wunsch von seinem Amt zurücktrat.
Als nach dem Krieg die Grenzen zwischen Deutschland und der Schweiz wieder offen waren, nutzte Wield im Frühsommer 1921 die Gelegenheit, die Winterthurer Förderer und Freunde, die er seit 1914/15 nicht mehr gesehen hatte, erneut zu besuchen. Mit seinem Brief an Bühler vom August 1921 setzte er den Austausch fort. Das Schreiben selbst ist nicht erhalten, doch sprechen die von Wield beigefügten Fotos mit den Künstlernamen dafür, dass er seinen Freund über die Hamburger Ausstellung informieren wollte – vielleicht im Hinblick auf zukünftige Ankäufe. Doch scheint Bühler keines der angezeigten Werke erworben zu haben; er entschied sich vielmehr für einen erneuten Ankauf von zwei Arbeiten Wields für seine eigene Sammlung: der Bronze Spannen und der in Gips ausgeführten Büste der Mutter Wields. Die Spannen-Figur befindet sich noch heute im Besitz der Erben Bühlers und steht als Gartenplastik im Engadin. Die Büste der Mutter ist dagegen nach jetziger Kenntnis verschollen. Bühler hat beide Werke in seinem privaten Kunstinventar festgehalten (Abb. 5).[15]
»Ein einheitliches Kunstwerk«
Kurz bevor im Februar 1922 – noch unter Wields Vorsitz – die dritte Ausstellung der Hamburgischen Sezession in der Hamburger Kunsthalle stattfand, schrieb der vorübergehend nach Köln ›ausgeliehene‹ Baudirektor Fritz Schumacher am 27. Januar an den Direktor der Kunsthalle, Gustav Pauli, und machte diesem einen Vorschlag zur »Ausschmückung des Vorraums des Vortragssaals« an der Gelenkstelle zwischen Alt- und Neubau – dem heutigen Hubertus-Wald-Forum. Pauli hatte einen solchen Vortragssaal wiederholt gefordert; er war aus seiner Sicht essenziell für die Idee des Museums als »Volksbildungsstätte« und stand zudem in direktem Zusammenhang mit den Planungen für einen neuen Museumsverein, die Anfang 1923 gegründeten Freunde der Kunsthalle. [16]
In seinem Brief regte Schumacher an, Pauli möge sich doch ein paar Entwurfsskizzen ansehen, die die Malerin Dorothea Maetzel-Johannsen (1886–1930) bereits für den Vorraum zum Vortragssaal angefertigt habe.[17] Daraufhin kam es Ende März zwischen Pauli und Dorothea Maetzel-Johannsen zu einem Gespräch, in dessen Verlauf die Künstlerin unter anderem bauliche Veränderungen des Vorraums vorschlug. In einem Kostenvoranschlag vom 5. Mai 1922 sah sie schließlich als malerische Ausschmückung »zwei 2½ m lange friesartige Wandbilder à 9000 M.« vor.[18] Einen Tag später reichte Friedrich Wield für den gleichen Raum ebenfalls einen Kostenvoranschlag für die Plastik einer menschlichen Figur ein,[19] was darauf schließen lässt, dass das Gesamtkonzept zwischen Wield und Maetzel-Johannsen bereits abgestimmt gewesen sein muss, als die Malerin ihre Skizzen Pauli vorlegte. Ein entsprechender Entwurf als Aquarell in der Hamburger Sammlung Tobeler zeigt bereits im Hintergrund des Raumes die schemenhafte Figur eines Mannes mit erhobenen Armen (Abb. 6). Die Kunsthalle scheint den von Dorothea Maetzel-Johannsen vorgeschlagenen Änderungen zügig stattgegeben zu haben, denn schon am 18. April 1922 berichtete der Hamburger Steinmetz Friedrich J. Schünemann von einem Vorgespräch mit Wield, in dem es um einen Kostenvoranschlag für eine »projektierte, männliche Figur in schreitender Stellung« in »Donau-Kalkstein« gegangen war.[20]
Die Entwürfe von Dorothea Maetzel-Johannsen dienten als Grundlage der inzwischen geführten Diskussion um die bauliche Veränderung des Vorraums; das beweist ein Schreiben Paulis von Anfang Mai 1922 an die Baudeputation. Das Blatt mit der männlichen Figur entspricht mit dem skizzierten Bogen und der angedeuteten Treppe am rechten Bildrand Paulis Anregung, »den Eingang zum Treppenhaus mit einem Korbbogen (zu) schließen«.[21] Zwei weitere Blätter formulieren eine Neugestaltung der oberen Wandzone des Vorraums, und Pauli erläutert: »[U]nter dem Glasdach eine Hohlkehle ziehen, welche sich unter der äußeren Reihe der Scheiben hinzieht.«[22] (Abb. 7/8) Ein viertes Aquarell illustriert eine angedachte Position von mittlerweile drei Bildern von Maetzel-Johannsen anstelle der ursprünglich vorgeschlagenen »zwei 2½ m langen friesartigen Wandbilder« (Abb. 9). Dafür war offenbar die der männlichen Figur gegenüberstehende Wand – die Rückseite des Windfangs – vorgesehen, doch wurde dieser Vorschlag später wieder revidiert. Die mit den beteiligten Künstlern besprochene künstlerische Ausgestaltung des Vorraums pries Pauli in einem Schreiben an die Baudeputation am 8. Mai 1922 als »ein einheitliches Kunstwerk«.[23]
Wield konzipierte seinen Schalenträger als Figur eines schreitenden Jünglings mit bloßem Oberkörper und einem annähernd knöchellangem Hüfttuch (Abb. 10).[24] Eine ähnliche, heute verschollene Vorläuferfigur hatte er bereits um 1911 in Paris geschaffen. Bekannter wurde seine Krugträgerin, ein weiblicher Akt in buddhistischer Sitzhaltung mit einer Amphore auf dem Kopf, die 1912 im Pariser Salon d’Automne zu sehen war[25] und von der daraufhin ein Abguss vom Hamburger Stadtpark-Verein erworben wurde – 1939 gelangte das Werk in die Sammlung der Kunsthalle.[26] Gegenüber dieser gedrungenen, archaisch wirkenden Figur mutet Wields schlanker Schalenträger für den Vorraum wie ein Abgesandter eines Südsee-Inselvolkes an, der mit seiner Früchteschale die Vorstellung eines irdischen Paradieses anklingen lässt. In dieser Hinsicht korrespondiert die Figur mit den vier querformatigen Stillleben und Figurenbildern, die Dorothea Maetzel-Johannsen schließlich für den Raum schuf und deren dargestellte Objekte und Personen ein Bild des Friedens und des Ausgleichs zwischen den Kulturen vermitteln.[27]
Dorothea Maetzel-Johannsen war 1919 zusammen mit ihrem Mann, dem Architekten und Maler Emil Maetzel, an der Gründung der Hamburgischen Sezession beteiligt gewesen und hatte eine Zeit lang zu den führenden Vertreterinnen des Expressionismus in Hamburg gehört. Seit etwa 1921 hatte sich ihr Malstil entscheidend geändert, indem sie sich in ihren Bildern vermehrt Naturmotiven und einer beruhigten und sanften Farbigkeit zuwandte und, wie die Wiedergabe des Knaben mit dem Reh und des lesenden Mädchens auf zwei der friesartigen Kompositionen für den Vorraum zeigen, eine zart innige Stimmung einzufangen wusste. Buddha-Masken und Kunstbücher, die auf den Gemälden ebenfalls zu sehen sind, unterstreichen den Ausdruck einer friedfertigen Welt und den Brückenschlag zwischen den Kulturen. Diesem Geist der Muße und der Kontemplation fügte sich der Schalenträger kongenial ein.
Wield begann im Sommer oder Frühherbst 1922 mit der Modellierung seiner Figur in Ton und führte danach die Gipsform aus. Diese wurde Anfang Oktober im Vorraum zur Probe aufgestellt, wie eine vermutlich vom Künstler selbst aufgenommene Fotografie dokumentiert (Abb. 11), und mit Gustav Pauli vor Ort diskutiert. In einem im Archiv der Kunsthalle überlieferten Schreiben vom 14. Oktober 1922 verwahrt Pauli sich entschieden gegen feindselige Vorwürfe Wields gegenüber seinen verschiedenen Änderungswünschen;[28] gleichwohl kam Wield diesen nach und konnte Anfang 1923 damit beginnen, die Figur in Kalkstein auszuschlagen, um sie schließlich im Frühjahr 1924 abzuliefern.
Zu diesem Zeitpunkt waren die Wandbilder von Dorothea Maetzel-Johannsen noch nicht fertig. Mehrmals bedurfte es vielmehr einer Erinnerung vonseiten Paulis. So bat dieser am 19. Mai 1923 um Übergabe der »noch ausstehenden drei Gemälde«, die »wir mit dem Gegenwert von 50 Dollar zum augenblicklichen Kurse honorieren wollen«.[29] Ob eines der Bilder zu diesem Zeitpunkt bereits vollendet war, bleibt an dieser Stelle unklar, ebenso wie die Frage, ob inzwischen neben den vier friesartigen Kompositionen möglicherweise auch ein fünftes, sechseckiges Gemälde mit dem Titel Rhododendronblüten in das Gestaltungskonzept aufgenommen worden war.[30] Wahrscheinlich lähmte die rasante Inflation in Deutschland die Schaffenskraft der Künstlerin, sodass die endgültige Fertigstellung der Werke am 2. April 2024 erneut angemahnt werden musste. Das letzte querformatige Gemälde mit den beiden Buddha-Masken entstand dann laut Datierung tatsächlich erst 1924.
Ein weiteres überliefertes, vermutlich ebenfalls von Friedrich Wield aufgenommenes Foto (Abb. 12) dokumentiert den Endzustand des Vorraums, der als Empfangs- und Ruheraum diente und die Besucherinnen und Besucher der Vorträge auf den zu erwartenden geistigen Genuss einstimmen sollte. Beide Künstler, die bereits 1920 kooperiert hatten,[31] legten mit dem Schalenträger bzw. den Wandgemälden erstmals ein gemeinsames, öffentliches Zeugnis ihrer Zusammenarbeit ab. Ihre Werke wurden in der nationalsozialistischen Ära zwar nach der Schließung der Kunsthalle Ende August 1939 magaziniert, überstanden aber den Bildersturm des »Dritten Reiches«. Die auf den Fotos abgebildete quadrierte Oberlichtdecke aus farblosem Mattglas und die linearen Ornamente auf dem Terrazzo-Fußboden vermitteln bis heute eine rudimentäre Vorstellung von dem Vorraum, wie er einmal war.
Über die verzögerte Fertigstellung der Bilder von Dorothea Maetzel-Johannsen war die Honorarfrage eine Zeit lang in den Hintergrund getreten; erst am 8. Oktober 1924 schrieb die Malerin an Pauli, dass sie nun die »pekuniäre Seite« des Auftrags ansprechen wolle. Die 50 Dollar Honorar, von denen sie seinerzeit schon 20 Dollar eingewechselt habe, seien inzwischen »nichts oder vielmehr lächerlich wenig wert«, so dass sie nunmehr eine Nachforderung von 1.200 RM erhebe.[32] Pauli befürwortete ihre Forderung gegenüber Bürgermeister Carl Petersen am 18. November 1924,[33] und der geforderte Betrag wurde der Künstlerin offenbar auch ausbezahlt.
Beflügelt von ihrem Erfolg erfüllte sich Dorothea Maetzel-Johannsen, die als Autodidaktin bisher keine professionelle Ausbildung erfahren hatte, im Sommer 1925 den Wunsch einer Studienreise nach Paris. Vermutlich hatte Wield sie zu diesem Schritt ermutigt und sich ihr dann als kundiger Paris-Führer zur Verfügung gestellt. Beide verbrachten die Sommermonate in der Stadt an der Seine.
Nach ihrer beider Rückkehr nach Hamburg ergab sich die Möglichkeit einer Ausstellung in den dem Hamburger Kunstverein überlassenen Räumen der Kunsthalle. Damit kam es im Januar 1926 zu einer Doppelausstellung, in der Wield 20 Porträtbüsten überwiegend in Bronze und Dorothea Maetzel-Johannsen 24 Gemälde, darunter mehrere Stillleben und Stadtansichten aus Paris, zeigte.[34] Das dazu herausgegebene Katalogheft verzichtete auf eine Einleitung und beschränkte sich allein auf die Abbildungen. Ein in Privatbesitz erhaltenes Exemplar verzeichnet auf der Titelseite die Signaturen von Maetzel-Johannsen und Wield, was sicher als persönliches Statement gemeinsamen Schaffens zu werten ist (Abb. 13).
Die beiden Künstler setzten in den folgenden Jahren ihren Gedankenaustausch fort, bis Dorothea Maetzel-Johannsen am 8. Februar 1930 an Herzversagen starb. Nach ihrem Tod übernahm Wield ihr Stadtatelier in der Ulmenau 3 in Uhlenhorst, wo er sich am 10. Juni 1940 selbst das Leben nahm.
RÜDIGER JOPPIEN ist Kunsthistoriker und war von 1987 bis 2011 Leiter der Abteilung Jugendstil und Moderne am Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg.
* Dieser Beitrag erscheint parallel in: freunde. Das Magazin der Freunde der Kunsthalle, Nr. 23, Frühjahr 2025, S. 48-55. Der Autor schuldet besonders Florian Britsch und Tim Tobeler großen Dank. Wertvolle Anregungen und Hilfestellungen gaben darüber hinaus: Lutz-Heinrich Bastian-Wirtz, Jenny Beringmeier, Dr. Mathias Frehner, Dr. Ute Haug, Harry Joelson-Strohbach, Dr. David Schmidhauser, Theres und Liselotte Schwarz-Steiner, Norbert Steigerwald, Dr. Dorothea Stiefel, Sören Schubert und Andrea Völker.
[1] Zur Geschichte der Hamburgischen Sezession und ihrer Künstler s. zuletzt: Maike Bruhns, Anja Dauschek, Nicole Tiedemann-Bischop (Hrsg.), Tanz des Lebens. Die Hamburgische Sezession 1919–1933, Dresden 2019; Friederike Weimar, Die Hamburgische Sezession 1919–1933. Geschichte und Künstlerlexikon, 2. Aufl. Fischerhude 2019 (zuerst 2003).
[2] Norbert Steigerwald vom Deutschen Künstlerbund machte mich auf zwei frühere Künstlerbund-Ausstellungen in Hamburg aufmerksam, die 1910 und 1913 in der Galerie Commeter stattfanden, sich aber auf Graphik beschränkten.
[3] Europäische Kunst der Gegenwart, Hamburger Kunsthalle 1927; Neue Europäische Kunst, ebenfalls in der Hamburger Kunsthalle 1929, sowie die Kunstausstellung Altona 1929, veranstaltet vom Altonaer Kunstverein, Altona 1929.
[4] Katalog der 16. Ausstellung des Deutschen Künstlerbunds, Hamburg 1921. Den Hinweis auf ein seltenes Exemplar des Ausstellungskatalogs verdanke ich Norbert Steigerwald.
[5] Der Artikel von Theodor Paul Et*bauer entstammt in Kopie einer Tageszeitung, die bisher nicht identifiziert werden konnte. Dieser Artikel sowie die Kopie des Artikels zur Künstlerbund-Ausstellung von Carl Müller-Rastatt befinden sich im Archiv der Hahnloser/Jaeggli Stiftung, Winterthur. Es ist anzunehmen, dass Wield die Kopien an seine Winterthurer Freunde schickte. Eine weitere Rezension der Ausstellung von Carl Albert Lange erschien in der Neuen Hamburger Zeitung, am 3.9.1921.
[6] Rosa Schapire, »16. Ausstellung des deutschen Künstlerbunds in Hamburg«, in: Der Cicerone, 13. Jg., 1921, Heft 17, S. 500-501.
[7] Die Fotos befinden sich im Archiv der Hahnloser/Jaeggli Stiftung, Winterthur.
[8] Die Hamburger Kunsthalle besitzt in ihrem Archiv eine Reihe von Fotos von Räumen mit ganz ähnlich gestreiften Tapetendekoren, die die von Pauli eingeführten optischen Veränderungen wiedergeben (frdl. Hinweis von Andrea Völker).
[9] Matthias Frehner, »Richard Bühler – Das Urteil der Zukunft nicht fürchten« in: Geschichte des Kunstvereins Winterthur seit seiner Gründung 1848, Stadtbibliothek Winterthur 1990, S. 210236; ders., »Eine ›große Sammlerleistung‹. Die Kunstsammlung Richard Bühler«, in: Andrea Lutz / David Schmidhauser (Hrsg.), Modernité. Renoir, Bonnard, Vallotton. Der Sammler Richard Bühler, Kunstmuseum Winterthur/München 2000, S. 55-75.
[10] Ausst.-Kat. Künstlerbund (Anm. 4), dort Spannen (Nr. 391), Bildnis der Mutter (Nr. 392, Abb. S. 59).
[11] Die Plastik wurde von Wield auf der 1. Ausstellung der Hamburger Sezession, Hamburg 1919, in zwei Ausführungen, als »Original Gips bemalt« und in »Bronze« (Nr. 68) gezeigt, ebenso wie das Bildnis meiner Mutter (Nr. 71).
[12] Siehe u.a. den Ausst.-Kat. Verzauberte Zeit. Meisterwerke der Sammlung Arthur und Hedy Hahnloser-Bühler, hrsg. von Hubertus Gassner, Angelika Affentranger-Kirchrath, Daniel Koep, Hamburger Kunsthalle 2015.
[13] Für die Abbildung s. Hugo Sieker, Bildhauer Wield. Ein Gedenkbuch, Hamburg 1975, zw. S. 84 u. 85; ebenso Koep in: Verzauberte Zeit (Anm. 12), S. 131.
[14] Gustav Pauli hatte Wield das Atelier in der Hamburger Kunsthalle am 8.4.1919 zumindest für die ersten Jahre unentgeltlich überlassen. Ungeachtet dessen klagte Wield am 1. 6.1921 aus Winterthur in einem Brief an Pauli über seine mangelnde Anerkennung in Hamburg, konzedierte aber, »dass ich nun seit zwei Jahren ein Atelier frei habe« (Archiv der Hamburger Kunsthalle, Allgemeine Künstlernotizen, S-Z).
[15] Matthias Frehner und Harry Joelson-Strohbach ist für den Hinwies auf Bühlers Sammlungsinventar zu danken. Das Inventar nennt von Wield 14 Arbeiten in Gips, Terracotta und Bronze, 3 Holzschnitte und 2 Radierungen.
[16] Zu Paulis Augenmerk auf die »Ausschmückung und Dekoration der Kunsthalle« und speziell zu seinem Auftrag zur »Verschönerung der Vorhalle des Vortragssaals« durch die Malerin Dorothea Maetzel-Johannsen und den Bildhauer Friedrich Wield s. den kenntnisreichen Aufsatz von Oktavia Christ, »Vom Erbe Lichtwarks zum ›Museum einer Weltstadt‹: die Hamburger Kunsthalle unter Gustav Pauli«, in: Uwe M. Schneede / Helmut R. Leppien (Hrsg.), Die Hamburger Kunsthalle. Bauten und Bilder, Leipzig 1997, S. 78-92, speziell S. 82, 84, 89, sowie (zur Gründung des Vereins der Freunde der Kunsthalle 1923) S. 88 (frdl. Hinweis von Florian Britsch).
[17] Archiv der Hamburger Kunsthalle, G. 104 »Künstlerische Ausschmückung von Räumen der Kunsthalle durch Wandmalerei, Plastiken u.a.«, 1918-1949, f. 81.
[18] Ebd., f. 72.
[19] Ebd., f. 71.
[20] Ebd., f. 74.
[21] Archiv der Hamburger Kunsthalle, G. 104 (Anm.16), f. 75/76.
[22] Ebd.
[23] Ebd., f. 68.
[24] Vgl. Georg Syamken, Die dritte Dimension. Plastiken Konstruktionen Objekte. Bestandskatalog der Skulpturenabteilung der Hamburger Kunsthalle, Hamburg 1988, S. 449-450.
[25] Wields Krugträgerin (Jeune fille à l’amphore, statue en pierre) wurde vom 1.10. bis 8.11.1912 im Pariser Salon d’Automne gezeigt und von der Presse wahrgenommen. Für eine Abbildung der in mehreren Ausführungen existierenden Figur s. Syamken (Anm. 23), S. 449, sowie Koep (Anm. 12), S. 132.
[26] Die Figur wurde infolge des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs nicht mehr im Stadtpark aufgestellt, sondern in der Hamburger Kunsthalle gelagert.
[27] Zu Dorothea Maetzel-Johannsens Stillleben für den Vorraum s. Hanns Theodor Flemming, in: Mathias F. Hans, Dorothea Maetzel-Johannsen, 1886–1930. Monographie und kritischer Werkkatalog, Hamburg 1986, S. 53-55; ebenso Marcus Andrew Hurttig, Die Gemälde der Klassischen Moderne (Die Sammlungen der Hamburger Kunsthalle, Bd. IV), Hamburger Kunsthalle, Köln 2010, S. 280-282, sowie Karin von Behr, Dorothea Maetzel-Johannsen, Leben und Werk, Neumünster 2013, S. 60-63, 106, 107. Vgl. auch den Beitrag von Gabriele Himmelmann in: freunde. Das Magazin der Freunde der Kunsthalle, Nr. 23, 2025, S. 56-59.
[28] Archiv der Hamburger Kunsthalle, G. 104 (Anm. 16), f. 52-54.
[29] Ebd. G. 104, f. 40.
[30] Siehe dazu Himmelmann (Anm. 26).
[31] Wield und Maetzel-Johannsen hatten beide 1920 an der Radierung Knieende zusammengearbeitet und das Blatt jeweils individuell mit eigenem Namen signiert. Das beweisen zwei Exemplare in der Hamburger Kunsthalle und in der Sammlung Tobeler, Hamburg.
[32] Archiv der Hamburger Kunsthalle, G. 104 (Anm. 16), f. 32.
[33] Ebd., G. 104, f. 33.
[34] Mehrere Rezensionen zur Ausstellung (z. B. der Hamburger Correspondent, 13.1.1926, oder das Hamburger Fremdenblatt, 9.1.1926) nennen als dritten Aussteller den Maler Walter Gramatté. Denkbar wäre, dass die Ausstellung um Werke dieses Künstlers erweitert wurde, um eine zu enge Verbindung zwischen Wield und Maetzel-Johannsen abzuschwächen.